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Stellungnahme zur Revision der Vertikalbekanntmachung (VertBek)

Als Vertreter von 105 Markenunternehmen, die Markenprodukte auf dem Schweizer Markt hauptsächlich über Dritte (Detailhandel) verkaufen, sind die Mitglieder von Promarca von der kartellrechtlichen Regelung von Vertriebsverträgen besonders betroffen. Wir freuen uns daher, Ihnen unsere Überlegungen zu unterbreiten.

Bevor wir zu den Änderungen des Vernehmlassungsentwurfs Stellung beziehen, möchten wir Sie noch auf folgende zwei grundsätzliche Punkte aufmerksam machen:

Besserer Schutz der Marke als Treiber von Innovation und Wettbewerb

Markenprodukte sind unbestrittenermassen Treiber von Innovation und Wettbewerb. Die Akteure in vielen Märkten orientieren sich an diesen Produkten. So belebt die Entwicklung neuer Markenprodukte die betreffenden Märkte und bringt die anderen Hersteller dazu, ihrerseits neue Produkte auf den Markt zu bringen (7244 neue Produkte wurden im letzten Jahr von Promarca Mitglieder auf dem Schweizer Markt lanciert). Dieser wichtigen Wettbewerbsfunktion von Markenartikeln ist daher auch bei der Beurteilung von Vertikalabreden Rechnung zu tragen. So sind bei der Analyse vertikaler Vereinbarungen die Besonderheiten von Markenartikeln zu berücksichtigen, insbesondere die Notwendigkeit von dauerhaften, langfristigen Investitionen und der Schutz der Markenreputation als wesentliche Elemente, um den Wert einer Marke zu schaffen und zu erhalten. Wir sind daher überrascht, dass im vorliegenden Entwurf keinerlei diesbezügliche Konkretisierungen vorgenommen worden sind. So wäre mindestens zu erwarten gewesen, dass die Artikel 18 Abs. 4 lit. a) und b) VE-VertBek in den Erläuterungen in erwähntem Sinne kommentiert würden. In der aktuellen Fassung fehlen Erläuterungen zu diesen Vorschriften gänzlich, was angesichts der Bedeutung von Artikel 16 VertBek bzw. Artikel 18 des Vorentwurfs nicht verständlich ist. Wir bitten Sie deshalb, die genannten Vorschriften in obgenanntem Sinn zu ergänzen oder zumindest Erläuterungen zu verfassen.

Analoge Geltung der auf Vertikalabreden anwendbaren EU-Vorschriften

Aus Sicht der Markenartikelindustrie ist es sinnvoll, dass in der Schweiz im Bereich Wettbewerbsabreden weiterhin möglichst dieselben Regeln wie in der Europäischen Union zur Anwendung kommen, wie dies in Erw. VI. und VII VE-VertBek erwähnt wird. Es scheint uns sinnvoll, punktuell in der VertBek und den Erläuterungen Formulierungen aus der EU-Vertikal-GVO zu übernehmen oder auf Vorschriften in der EU-Verordnung bzw. Formulierungen in den dazugehörigen Leitlinien zu verweisen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass das Freistellungssystem in der EU vom Rechtfertigungssystem in der Schweiz zu unterscheiden ist und in der EU-GVO auch andere Begriffe verwendet werden (z.B. «Kernbeschränkungen», «nicht freigestellte Beschränkungen» etc.), was zu Verwirrung führen kann.

Die Bekanntmachungen gemäss Artikel 6 Kartellgesetz sollen der Rechtssicherheit dienen und den Unternehmen als Adressaten des Kartellgesetzes wichtige und praktische Anhaltspunkte liefern, wie sie ihr unternehmerisches Verhalten auf dem Markt gestalten sollen. Die Erläuterungen zur VertBek bzw. VE-VertBek sind im Vergleich zu den Leitlinien der EU sehr kurz. Die Integration von Formulierungen aus der Vertikal-GVO bzw. den EU-Vertikalleitlinien oder die (analoge) Verweisung auf das EU-Recht sind zwar, wie erwähnt, im Grundsatz richtig, doch sind diese Einschübe bzw. Verweisungen aufgrund der Terminologie, Systematik/Zusammenhang und der Fülle des EU-Regelwerks für Schweizer Unternehmen nicht immer einfach zu verstehen und manchmal sogar verwirrend. Dies gilt auch für Markenunternehmen, welche ihr Marktverhalten kartellrechtskonform gestalten wollen. Wir bitten Sie daher, die Erläuterungen substanziell zu ergänzen. Diese Bitte betrifft, neben den unten beschriebenen Vorschriften, insbesondere auch Artikel 18 VE-VertBek.

Schliesslich sollte ausdrücklicher klargestellt werden, dass auch im Zusammenhang mit Vorschriften, bei denen keine Formulierungen aus dem EU-Recht kopiert worden sind – vorbehältlich expliziter anderweitiger Regelung in der VertBek – die EU-Vertikal-GVO und die entsprechenden Leitlinien gemäss Erw. VI. und VII. VertBek analog Geltung beanspruchen, was der Rechtssicherheit dienlich wäre.

Es folgen unsere Erläuterungen zu Ihrem Entwurf:

Wir haben festgestellt, dass die Begriffe der neuen vertikal GVO angepasst und Begriffsdefinitionen für Alleinvertriebssysteme und Online-Vermittlungsdienste aufgenommen wurden und unterstützen diese Konkretisierungen.

Zu Artikel 4: Alleinvertriebssysteme

Im Abschnitt II. der Begleitnotiz: «Übersicht der Änderungen gemäss Vernehmlassungsentwurf Vertikalbekanntmachung/VertBek-Erläuterungen» wird festgestellt, dass die Ausführungen in Rz 15 der VertBek-Erläuterungen aufgrund dieser neu eingefügten Definition gestrichen worden seien.

Mit der Verweisung waren wohl die Erläuterungen in Rz 14 VertBek-Erläuterungen gemeint. Auch diese aktuelle Kommentierung ist unklar und es wäre sinnvoll, wenn in den geplanten Erläuterungen die Erklärung zur Kombination Alleinvertrieb/Selektivvertrieb wieder aufgenommen und verständlich formuliert werden könnte. Dies könnte im Rahmen einer Erläuterung zu Artikel 15 lit. b VE-VertBek erfolgen.

Zu Artikel 5: Selektive Vertriebssysteme

Vor allem bei einem selektiven Vertriebssystem ist ein Mindestmass an Informationsaustausch erforderlich, da der Wiederverkäufer sich bereit erklärt, in Ressourcen zu investieren, um die qualitativen Kriterien des Anbieters zu erfüllen. Diese betreffen hauptsächlich die Qualität des Einzelhandelsumfelds und die Kundenerfahrung. Und um die Attraktivität der Markenprodukte zu wahren und den Endkunden ein kohärentes Einzelhandelserlebnis über die verschiedenen Vertriebskanäle und Einzelhändler des Lieferanten zu bieten, schult der Lieferant in der Regel das Einzelhandelspersonal der Wiederverkäufer und gibt alle relevanten und erforderlichen Informationen über das Produkt weiter, um ein hervorragendes Kundenerlebnis (sowohl vor als auch nach dem Kauf) zu gewährleisten.

Wir nutzen die Gelegenheit zu betonen, dass grundsätzlich nicht nur Prestige- und Luxusgüter sowie technisch hochstehende Produkte diese Vertriebsform wählen. Auch Markenunternehmen die im Konsumgüterbereich tätig sind, können ein Interesse haben, diese Vertriebsform zu wählen, um eine Marke aufzubauen oder zur Existenzsicherung der Marke, was bei einer Auslegung zu berücksichtigen wäre.

Aufgrund der unbestrittenen grossen wirtschaftlichen Bedeutung von Selektivvertriebssystemen in der Schweiz und in Europa wäre es angemessen, in den geplanten Erläuterungen die kartellrechtlichen Grenzen des Informationsaustauschs im Zusammenhang mit einem Selektivvertrieb zu spezifizieren.

Europäische Länder haben schon länger die Wichtigkeit dieses Vertriebssystems erkannt und sogar rechtliche Mechanismen eingeführt, um die Verletzung eines selektiven Vertriebsnetzes zu bestrafen: Frankreich hat beispielsweise 1996 Bestimmungen eingeführt, um die direkte oder indirekte Beteiligung an der Verletzung eines selektiven Vertriebsnetzes zu bestrafen (Artikel L.442-2 des französischen Handelsgesetzbuchs).

Zu Artikel 9: Online Vermittlungsdienste

Bei «Online-Vermittlungsdienste» handelt es sich um einen neuen Begriff, der aus der EU-GVO entnommen wurde. Die Definition ist sowohl sehr weit gefasst als auch verwirrend. Es ist unklar, wie sie sich von Online-Marktplätzen oder Anbietern abgrenzen. Dieser Begriff muss in den geplanten Erläuterungen unbedingt besser dargestellt und die Abgrenzung zu anderen Begriffen wie Drittplattform, Marktplätzen etc. erklärt werden.

Zu Artikel 10: Dualer Vertrieb

Beim dualen Vertrieb vertreibt der Anbieter seine Waren sowohl direkt als auch über Händler. Ein Hersteller mit dualem Vertriebssystem strebt grundsätzlich keine wettbewerbswidrige Vereinbarung mit seinen Einzelhändlern an, da er alle Anreize hat, die Entwicklung des Einzelhandelsgeschäfts zu fördern und zu unterstützen und der duale Vertrieb ein Mittel ist zur Ausweitung der Reichweite und der Produktion seiner Produkte. So haben beide Beteiligten ein gemeinsames Interesse daran, so viele Produkte wie möglich zu verkaufen. Es kann daher auch vorkommen, dass bestimmte Informationen ausgetauscht werden müssen, damit die Verbraucher davon profitieren können.

Auch zum dualen Vertrieb werden einfach entsprechende EU-Vorschriften übernommen, wobei die geplanten Erläuterungen zur Interpretation aber keine Hilfe bieten. Es wäre daher angemessen, wenn die VE-VertBek-Erläuterungen diesbezüglich ergänzt werden könnten und vor allem zum in der Praxis zentralen Aspekt des Informationsaustauschs Hinweise geben würden. Im Entwurf wird nicht einmal eine explizite Verweisung zu Rz 96ff. der EU-Vertikalleitlinien gemacht. Selbst wenn aber eine implizite Verweisung aufgrund den Erw. VI. und VII. angenommen werden müsste, wäre eine konzise und verständliche Ergänzung der geplanten Erläuterungen notwendig.

Zu Artikel 12 Abs. 1 lit. a: Preisabrede

Promarca ist überrascht festzustellen, dass – während die EU-Kommission in ihren Leitlinien Hinweise auf Umstände gibt (Rz 185ff.), die zulässig sein können bei Vorliegen einer Preisbindung zweiter Hand – in der Schweiz an der scharfen Praxis festgehalten wird. In den VE-VertBek-Erläuterungen werden zwar auch hier EU-Formulierungen übernommen, aber gerade diese genannten Erleichterungen finden sich nirgends. Auch hier stellt sich dem Adressaten des Kartellgesetzes die Frage, ob diese Ausnahmen bewusst weggelassen werden oder ob diese trotzdem gestützt auf die Erw. VI. und VII. auch in der Schweiz Geltung beanspruchen. In jedem Fall ist auch hier eine Ergänzung der VE-VertBek-Erläuterungen dringend notwendig.

Ähnliches gilt für die Umschreibung des Begriffs Preisempfehlung. In den VE-VertBek-Erläuterungen wird praktisch ausschliesslich auf das Urteil des Bundesgerichts i.S. Pfizer eingegangen. Dieses stellt aber aus unserer Sicht insofern einen Spezialfall dar, als der Abredebegriff aufgrund der in diesem Fall vorgelegenen besonderen Umstände (Befolgungsgrad usw.) als gegeben erachtet und damit eine Preisabrede angenommen wurde. Dies dürfte in den «normalen» Fällen von Preisempfehlungen nicht der Fall sein. Insofern sollte der Fall «Pfizer» an der kartellrechtlichen Beurteilung von klassischen Preisempfehlungen nichts geändert haben. Entsprechend würde man erwarten, dass dies so in den Erläuterungen klargestellt wird. Die geplante Darstellung in der VE-VertBek und VE-VertBek-Erläuterungen schafft aber im Zusammenhang mit einem derart wichtigen Instrument wie der Preisempfehlung noch mehr Unsicherheit und es ist entsprechend auch hier dringend notwendig, dass die geplanten Erläuterungen in diesem Sinne ergänzt werden.

Zu Artikel 12 Abs. 1 lit. b: Absolute Gebietsschutzabrede

Die Aussage am Ende von Ziffer 11 der Erläuterungen und die Fussnote 34 sind nicht nachvollziehbar. Dass Alleinbezugssachverhalte unter Artikel 5 Abs. 4 lit. b Kartellgesetz fallen, dürfte nur in Ausnahmefällen zutreffen. Die entsprechende «Schweizer Praxis» muss in den VE-VertBek-Erläuterungen unbedingt präzise erklärt werden, damit keine Rechtsunsicherheit – auch im Verhältnis zur EU-GVO und den EU-Leitlinien – entsteht.

Zu Artikel 14: Erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung

In der Teilrevision des Bundesgesetzes über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen wird eine Anpassung des Art. 5 vorgeschlagen, die die Markenartikelindustrie unterstützt. Gerade in Vertriebssystemen mit vorhandenem Interbrand-Wettbewerb kann wohl kaum von einer erheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausgegangen werden und im Falle einer Verneinung der Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs kann es nicht sein, dass eine erhebliche per se Beeinträchtigung bejaht wird. Promarca geht davon aus, dass, falls oben genannter Vorschlag vom Parlament angenommen wird, die gültigen VertBek und -Erläuterungen angepasst werden.

Artikel 15: Qualitativ schwerwiegende Wettbewerbsabreden

Auch hier bringen blosse Übernahmen von EU-Formulierungen Unklarheiten. Der Begriff «Direktkundin» oder «Kundin» müsste ebenso geklärt werden (insbesondere auch Abgrenzung zu den Begriffen wie Abnehmerin, Wiederverkäuferin, Endverbraucherin etc.) wie die offenbar bezweckte Möglichkeit, dass Alleinvertriebshändler neu das Aktivverkaufsverbot künftig auch an eine sog. zweite Abnehmerstufe weitergeben darf, was bisher auch in der EU verboten war. Diese Begriffe und Neuerung, welche gerade auch für unsere Verbandsmitglieder von grosser praktischer Bedeutung ist, sollten in den VE-VertBek-Erläuterungen erklärt werden.

Zu Artikel 15 lit. e: Online-Handel

Die Rz 21ff. der VE-VertBek-Erläuterungen sind nur schwer verständlich. Es ist nach wie vor unklar, wann eine Vertragsklausel, welche ausschliesslich den Online-Vertrieb betrifft, eine sanktionierbare Abrede im Sinne von Artikel 5 Abs. 4 Kartellgesetz darstellen kann. Es ist schwer vorstellbar, dass die in Rz 22 genannten Klauseln unter Artikel 5 Abs. 4 Kartellgesetz fallen könnten, ohne dass auch gebietsabschottende Vereinbarungen für den Offline-Vertrieb bestehen.

In den Rz 23ff. werden wiederum Wortlaute aus dem EU-Recht kopiert, ohne dass diese genauer erklärt werden. Aufgrund der bisherigen Praxis in Europa geht Promarca davon aus, dass ein Verbot des Vertriebs von Markenartikeln über Drittplattformen zulässig ist. Aus den grösstenteils kopierten Erläuterungen der EU-Vertikal-Leitlinien wird aber generell nicht klar, wie in der Praxis mit dem Online-Handel umgegangen werden muss, damit der betreffende Hersteller oder Lieferant nicht mit dem Kartellgesetz in Konflikt gerät. Diesbezügliche Ergänzungen mit illustrativen praktischen Beispielen sind daher auch hier dringend notwendig.

Zu Artikel 15 lit. g: Wettbewerbsverbote

Wir stellen fest, dass die EU-Kommission in ihren Vertikalleitlinien (Rz 248) klargestellt hat, dass vertikale Wettbewerbsverbote, die für einen Zeitraum von fünf Jahren abgeschlossen werden und sich stillschweigend über diesen Zeitraum hinaus verlängern, grundsätzlich unproblematisch sind, sofern angemessene Kündigungs- bzw. Neuverhandlungsmöglichkeiten bestehen. Die Markenartikelindustrie fragt sich, warum auf diese Neuerung aus der EU verzichtet wurde. Wir sehen keinen Grund, diese Regelung nicht auch in der Schweiz zu übernehmen. Denn sie wäre sinnvoll für Unternehmen, die ihre Produkte international vertreiben.

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